Rheim Alkadhi

"Speak, than, material witness, in the medium of rebellion! / Dann sprich, Zeug*in des Materials, im Medium der Rebellion!"

Installationen

23.04.2022 - 25.05.2022

Eröffnung: 23.04.2022 um 17:00 Uhr
Langhaus der Klosterkirche in Uelzen-Oldenstadt
Klosterstraße 6, 29525 Uelzen-Oldenstadt

Öffnungszeiten

Freitag / Samstag 15 – 18 Uhr Sonntag 11 – 13 Uhr und 15 - 18 Uhr  
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Foto: Christiane Schmidt

Für die Präsentation im Rahmen der Ausstellung stellt die Firma expert Uelzen die Fernsehanlage zur Verfügung. HERZLICHEN DANK DAFÜR!

 

Eröffnung der Ausstellung am Samstag, 23. April 2022um 17.00 Uhr im Langhaus der Klosterkirche in Oldenstadt

Begrüßung durch Almke Matzker-Steiner, 1.Vorsitzende des Kunstvereins Uelzen

Einführung durch Pary El-Qalqili, Filmemacherin

Musik: Dirar Kalash, Musiker & Klangkünstler

Finissage am Mi. 25.5.2022 um 18 Uhr

 

Aufruf zum Widerstand

Zur Ausstellung von Rheim Alkadhi im Kunstverein Uelzen

Barbara Kaiser – 22. April 2022
Wenn ein Zitat zur Ausstellung von Rheim Alkadhi, die derzeit im Langhaus Oldenstadt zu sehen ist, passte, dann die Worte von Bertolt Brecht, die dieser auf dem „Kongress zur Verteidigung der Kultur“ in Paris 1935 sagte: „Politische Kunst steckt in einer Zwickmühle: utopischer Anspruch und Pragmatismus, radikale Kritik und Apologie beschränkter Verhältnisse.“ Man musste sich ja schon lange die Frage stellen, wie politisch sind Kunst und Kultur heute noch? Das Kabarett verkommt mehr und mehr zur Comedy, die Gegenwartsliteratur zur Nabelschau. Und die bildende Kunst? Von der darstellenden nicht zu reden. Vielleicht gibt es in diesen Genres noch Funken der Rebellion? Der Fragen an die Zeit, die doch immer drängender und unaufschiebbarer werden, oder?
Wer es mit hübschen Bildchen hält, ist falsch vor der Installation von Rheim Alkadhi. (Man darf gespannt sein auf die Reaktionen des Uelzener Publikums!) Denn ihre Arbeit ist Protest. Zeugenbefragung auch.
Macht man sich nur ein paar Gedanken dazu, tut sie weh, weil sie von Zustand dieser Welt spricht, welcher sich als Logik militarisierter Verhältnisse offenbart und – natürlich – männlich determiniert und dominiert ist.
Rheim Alkadhi wurde im Jahr 1973 in New York als Kind eines irakischen Vaters und einer US amerikanischen Mutter geboren. Ihre Kindheit spielte sich zwischen den USA und dem Nahen Osten ab, sie studierte an der University of California in Irvine und an CalArts in Valencia. Nach zahlreichen Stipendien und Artist-in-Residence-Programmen lebt und arbeitet sie seit 2016 in Berlin.
Auf die Frage, warum sie sich der Kunst verschrieben habe, antwortet die 49-Jährige: „It`s my voice!“ Es ist ihre Stimme, ihre Art, in dieser Welt nicht stumm zu bleiben. Die Kunst diene auch zur Erweiterung des Blickwinkels, sagt sie. Und ein Perspektivwechsel zeitigt sowieso immer Erkenntnisgewinn!
Die Objekte für die Installation im Langhaus haben schon ein Leben hinter sich. Nun werden sie angerufen als Zeuginnen und Zeugen. Da gibt es drei große alte LKW-Planen, denen man die Gebrauchsspuren deutlich ansieht. Auf ihren langen Reisen haben sie den Schmutz der Autobahnen aufgenommen. Denkt man weiter, vermag man der Intention von Rheim Alkadhi mühelos zu folgen: Diese Riesentrucks sind ein Symbol der ökonomischen Kraft der kapitalistischen Märkte, genauso aber auch Zeugen dafür, wie durch sie die Ökologie ruiniert wird. Auf den ständig ausgebauten Trassen fahren Tag und Nacht ganze Warenlager, weil der Kapitalismus beschlossen hat, dass Lagerhaltung vor Ort zu kostenintensiv sei. Den Preis dafür zahlen wir alle: In zubetonierten Biotopen, zerstörten alten Kulturlandschaften, Lärm, Dieselgestank und Feinstaub, tödlichen Unfällen, gnadenloser Ausbeutung der Fahrzeuglenker und, und, und… Leider aber bleibt genauso zu konstatieren, dass wir, die wir genau das beklagen, an dieser Entwicklung mitschuldig wurden.
Ein anderer Aspekt der Ausstellung sind gesammelte Objekte. Das Konzept der Feldrecherche lernte Rheim Alkadhi schon als Kind kennen, als sie ihre Mutter, die als Anthropologin im Irak forschte, begleitete. Seitdem interessiert sie die Interaktion mit einem Ort, die Praxis ist, Sicht auf die Welt zu ermöglichen und die auch unerwartete Begegnungen zulässt.
So sammelte Rheim Alkadhi auf der Insel Lesbos, an den „Ankunftsorten“ von Flüchtlingen, Fundstücke auf. Schuhsohlen und Absätze meist. Eine genauere Analyse besagte, woher sie kommen. Aber ohne das zu wissen ist zu sehen, dass die Besitzer des Schuhs (zu) viele Kilometer damit gingen, die Absätze sind abgelaufen, krumm und schief und gehörten schon lange erneuert. Auch der Gedanke, dass wir übersatten Bürger Westeuropas solche Schuhe schon lange nicht mehr trügen, mischt sich ein.
Vielleicht sind diese kleinen Objekte, die zwecks Präsentation auf einem passenden Sockelchen befestigt wurden, die erschütterndsten Dokumente. Sie erzählen davon, dass die Schuhbesitzer sich auf den Weg machten, vor Terror und Krieg flohen, um ein bisschen mehr Glück und Wohlstand, Würde und Zukunft für ihre Kinder zu suchen.
Ähnliche Imagination funktioniert mit den Stahlseilen, die für die alten Olivenbäume im Lager Moria stehen sollen. Diese Olivenbäume dienten als Garderobenhalter, Aufhänger des Wasserkanisters –  vielleicht – und sind Zeugen eines sehr spartanischen „Haushalts“, einer Notunterkunft.
Kunst ist Medium zur Reflektion – ein Vehikel zur Weltverbesserung ist sie nicht. „Kunst ist Waffe“, sagte Friedrich Wolf (1888 bis 1953), Arzt, Dramatiker, Kommunist. Die Reflektion, der Blick „hinter“ die Gegenstände und das Nachdenken funktionieren im Langhaus Oldenstadt mit Sicherheit. Inwieweit die Installation von Rheim Alkadhi als Waffe zu benutzen ist – Wofür? Gegen wen? – muss der Betrachter entscheiden. Der aber käme nur über Aktion zu dem, was die Künstlerin einfordert: Widerstand und Rebellion. Nicht von Schaden dafür wären ein paar fundierte gesellschaftspolitische Einsichten – vielleicht von Karl Marx -, um am Ende wieder bei Bert Brecht den Ansatz zu finden: „Kameraden, sprechen wir von den Eigentumsverhältnissen!“ Denn eigentlich geht es doch immer nur darum.
Vernissage ist am Samstag, 23. April 2022, um 17 Uhr im Langhaus Oldenstadt. Öffnungszeiten bis 25. Mai 2022 freitags und samstags,15 bis 18 Uhr, sonntags von 11 bis 13 und 15 bis 18 Uhr.
Die Ausstellung wurde zwar unabhängig vom Niedersächsischen Landesprogramm „Schule : Kultur“ konzipiert, in einem Gespräch mit dem Fachbereich Kunst des Lessing-Gymnasiums ergaben sich jedoch Aufgaben beziehungsweise ein Konzept für die Schülerinnen und Schüler des 12. Jahrganges, wie sie zu ArtScouts (für diese Ausstellung) ausgebildet werden können.
Es ist geplant, dass sie während der Finissage am Mittwoch, 25. Mai 2022, um 18 Uhr, durch die Ausstellung führen.

Werke

Einleitende Worte von Pary El-Qalqili

Dann sprich, Zeug:in des Materials im Medium der Rebellion!
Herzlich Willkommen zu der Ausstellung „Speak then, material witness, in the medium of rebellion!“ von Rheim Alkadhi.
Herzlich willkommen auch an Rheim Alkadhis Kollaborateurin Christiane Schmidt, sowie an den Musiker und Klangkomponisten Dirar Kalash, der heute Abend noch spielen wird.
Der Titel der Ausstellung liest sich wie eine Anrufung: Dann sprich, Zeug:in des Materials, im Medium der Rebellion! Doch wem ruft die Künstlerin hier zu? Und wenn ihre Anrufung erhört wird, und die Materialien oder Gegenstände tatsächlich beginnen zu sprechen, hören wir sie dann auch?
Rheim Alkadhi nähert sich mit ihrer Ausstellung einer militarisierten Grenzregion an, die gezeichnet ist von Gewalt gegen diejenigen, die sich auf der Flucht befinden. Rheims Arbeit basiert seit Jahren auf intensiver Feldrecherche, eine Methode der künstlerischen Arbeit, die auf einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Ort und den Menschen basiert. Rheim selbst beschreibt diese Praxis der Feldrecherche als eine Methode sich die Welt zu erschließen und das was ausgelöscht, verdrängt, übersehen wurde wieder sichtbar zu machen. Teil ihrer Praxis ist das Fotografieren, die Dokumentation und die Möglichkeit das Spielerisches und das Überraschende zuzulassen und unerwartete Begegnungen.
Die Ausstellung, die wir heute sehen ist als Fortführung Rheims künstlerischer Forschung zu betrachten, die sie an Orte geführt hat, die von Ausbeutung von Natur und Ressourcen, militarisierter Gewalt und Katastrophen geprägt sind: Irak, Libanon, Jordanien, Palästina.
Ihr letzter Aufenthalt führte sie auf die griechische Insel Lesbos und zu dem abgebrannten Camp Moria. Hier konzentrierte sie sich vor allen Dingen auf die militarisierte Grenzregion, jene Gegend an denen Geflüchtete nach lebensgefährlicher Überfahrt ankommen, teilweise jedoch von der griechischen Küstenwache oder auch maskierten Handlangern durch sogenannte Pushbacks gegen jegliches Internationales Recht zurückgestoßen werden.
In der Ausstellung sehen wir die Menschen nicht, die geflüchtet sind. Wir sehen nicht wie sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in provisorischen Zeltlagern leben müssen – denn hier ist auch die Frage: Können wir das Leiden der Anderen durch mediale Abbildung sehen?
Alkadhis Arbeit ist ein radikaler Gegenentwurf zu dem was wir gewohnt sind vom sogenannten Leiden der Anderen zu sehen. Was wir sehen, sind die Dinge, die sie nach dem Verlassen dieses Durchgangsortes zurückgelassen haben: abgelöste Schuhsohlen, abgebrochene Schuhabsätze. Plastiktüten mit ein paar Habseligkeiten. Gurte und Stahlseile mit denen der wenige Besitz der Menschen auf der Flucht transportiert wurde. Großflächige LWK Planen, an denen Rückstände von Öl, Erde und andere Partikel als Zeug:innen des Transits kleben.
Die Künstlerin schlägt uns vor diesen, wie sie es nennt „planetarischen Erzählungen“ der Dinge zuzuhören. Wovon erzählen sie uns? Wem haben sie gehört? Welchen Weg haben sie zurückgelegt? Wer hat sie unter welchen Umständen zurückgelassen? Und wo sind diese Menschen jetzt, deren Hinterlassenschaft wir hier zu sehen bekommen?
Die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Spivak stellte in ihrem Essay „Can the Subaltern speak“ die Frage, inwiefern diejenigen, die kolonisiert und marginalisiert wurden, sprechen können bzw. Gehört werden. Spivak hält fest, dass das Projekt der epistemischen Gewalt einerseits zur Konstitution des kolonialen Anderen beigetragen hat und gleichzeitig die Auslöschung der Spuren kolonisierten Lebens exerziert.
Die Ausstellung versucht jedoch nicht diejenigen, die militarisierte Gewalt erlebt haben zu repräsentieren oder für sie zu sprechen. Die Künstlerin verortet ihre Praxis nicht im Feld der Repräsentation. Sie weiß, dass Sprechen für jemand anderen nicht möglich ist. Sie gibt uns keine abschließenden Erklärungen über geopolitische Zusammenhänge und das globale Grenzregime. Sie erhebt auch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, oder uns eine Heldengeschichte zu erzählen, mit Anfang, Mitte, Ende. Stattdessen folgt die Dramaturgie ihrer Ausstellung einer künstlerischen Suchbewegung jenseits eines linearen Narrativs: Himmel, Erde, Bäume, Grenze, Wegweiser, Überquerung.
Rheim Alkadhis Arbeit basiert auf dem Prozess des „obsessiven Sammelns“. Rheim beschreibt dieses Prozess nicht als ein archäologisches Graben und Entdecken. Vielmehr rücken die Dinge in ihr Sichtfeld und sprechen zu ihr. So holt die Künstlerin auf eine Art die Spuren der kolonisierten Subjekte zurück ins Feld des Vorstellbaren.
Indigenes Wissen beruht darauf, dass alle Dinge und Lebewesen Geschichten, Spuren und Informationen über vergangenes Leben in sich tragen, miteinander verbunden sind und sprechen können. Hier knüpft die Künstlerin an und ruft auch uns zu: Hört den Dingen zu, dem vermeintlichen Abfall, dem Dreck, den Überbleibseln zu, den Überresten, den gewanderten Materialien selbst: den materiellen Zeug:innen.
Indem die Künstlerin diese materiellen Zeug:innen zusammenträgt, re-arrangiert und ausstellt, übersetzt sie für uns das. was normalerweise von den Wellen an den Küsten oder militarisierten Grenzregion in die Vergessenheit gespült wird. Die Oberfläche der LKW Planen wird in der Ausstellung selbst zu einer Szenerie auf der sich eine Geschichte von Flucht und Transit abspielt.
Und wie im Titel angedeutet, etabliert die Künstlerin das Konzept der Zeugenschaft. Wenn es Zeug:innen von Unrecht gibt, dann muss es auch Gerechtigkeit geben. Und ich zitiere Rheim aus einem Interview:
„One must find locations and gestures that indicate a desire for justice in this lifetime“ „Mensch muss Orte und Gesten in diesem Leben finden, die auf ein Begehren nach Gerechtigkeit hinweisen“.
Damit wünsche ich Ihnen einen bereichernden Abend in der Ausstellung und übergebe an Dirar Kalash, der für uns spielen wird.

 

 

Bilder der Eröffnung

Workshop im Rahmen der Ausstellung

"Scharfgeblickt - ArtScouts"

Projekt 12. Jahrgangsstufe Fach Kunst Lessing-Gymnasium Uelzen
Leitung: Simona Staehr, Rheim Alkadhi