Zur Ausstellung von Rheim Alkadhi im Kunstverein Uelzen
Barbara Kaiser – 22. April 2022
Wenn ein Zitat zur Ausstellung von Rheim Alkadhi, die derzeit im Langhaus Oldenstadt zu sehen ist, passte, dann die Worte von Bertolt Brecht, die dieser auf dem „Kongress zur Verteidigung der Kultur“ in Paris 1935 sagte: „Politische Kunst steckt in einer Zwickmühle: utopischer Anspruch und Pragmatismus, radikale Kritik und Apologie beschränkter Verhältnisse.“ Man musste sich ja schon lange die Frage stellen, wie politisch sind Kunst und Kultur heute noch? Das Kabarett verkommt mehr und mehr zur Comedy, die Gegenwartsliteratur zur Nabelschau. Und die bildende Kunst? Von der darstellenden nicht zu reden. Vielleicht gibt es in diesen Genres noch Funken der Rebellion? Der Fragen an die Zeit, die doch immer drängender und unaufschiebbarer werden, oder?
Wer es mit hübschen Bildchen hält, ist falsch vor der Installation von Rheim Alkadhi. (Man darf gespannt sein auf die Reaktionen des Uelzener Publikums!) Denn ihre Arbeit ist Protest. Zeugenbefragung auch.
Macht man sich nur ein paar Gedanken dazu, tut sie weh, weil sie von Zustand dieser Welt spricht, welcher sich als Logik militarisierter Verhältnisse offenbart und – natürlich – männlich determiniert und dominiert ist.
Rheim Alkadhi wurde im Jahr 1973 in New York als Kind eines irakischen Vaters und einer US amerikanischen Mutter geboren. Ihre Kindheit spielte sich zwischen den USA und dem Nahen Osten ab, sie studierte an der University of California in Irvine und an CalArts in Valencia. Nach zahlreichen Stipendien und Artist-in-Residence-Programmen lebt und arbeitet sie seit 2016 in Berlin.
Auf die Frage, warum sie sich der Kunst verschrieben habe, antwortet die 49-Jährige: „It`s my voice!“ Es ist ihre Stimme, ihre Art, in dieser Welt nicht stumm zu bleiben. Die Kunst diene auch zur Erweiterung des Blickwinkels, sagt sie. Und ein Perspektivwechsel zeitigt sowieso immer Erkenntnisgewinn!
Die Objekte für die Installation im Langhaus haben schon ein Leben hinter sich. Nun werden sie angerufen als Zeuginnen und Zeugen. Da gibt es drei große alte LKW-Planen, denen man die Gebrauchsspuren deutlich ansieht. Auf ihren langen Reisen haben sie den Schmutz der Autobahnen aufgenommen. Denkt man weiter, vermag man der Intention von Rheim Alkadhi mühelos zu folgen: Diese Riesentrucks sind ein Symbol der ökonomischen Kraft der kapitalistischen Märkte, genauso aber auch Zeugen dafür, wie durch sie die Ökologie ruiniert wird. Auf den ständig ausgebauten Trassen fahren Tag und Nacht ganze Warenlager, weil der Kapitalismus beschlossen hat, dass Lagerhaltung vor Ort zu kostenintensiv sei. Den Preis dafür zahlen wir alle: In zubetonierten Biotopen, zerstörten alten Kulturlandschaften, Lärm, Dieselgestank und Feinstaub, tödlichen Unfällen, gnadenloser Ausbeutung der Fahrzeuglenker und, und, und… Leider aber bleibt genauso zu konstatieren, dass wir, die wir genau das beklagen, an dieser Entwicklung mitschuldig wurden.
Ein anderer Aspekt der Ausstellung sind gesammelte Objekte. Das Konzept der Feldrecherche lernte Rheim Alkadhi schon als Kind kennen, als sie ihre Mutter, die als Anthropologin im Irak forschte, begleitete. Seitdem interessiert sie die Interaktion mit einem Ort, die Praxis ist, Sicht auf die Welt zu ermöglichen und die auch unerwartete Begegnungen zulässt.
So sammelte Rheim Alkadhi auf der Insel Lesbos, an den „Ankunftsorten“ von Flüchtlingen, Fundstücke auf. Schuhsohlen und Absätze meist. Eine genauere Analyse besagte, woher sie kommen. Aber ohne das zu wissen ist zu sehen, dass die Besitzer des Schuhs (zu) viele Kilometer damit gingen, die Absätze sind abgelaufen, krumm und schief und gehörten schon lange erneuert. Auch der Gedanke, dass wir übersatten Bürger Westeuropas solche Schuhe schon lange nicht mehr trügen, mischt sich ein.
Vielleicht sind diese kleinen Objekte, die zwecks Präsentation auf einem passenden Sockelchen befestigt wurden, die erschütterndsten Dokumente. Sie erzählen davon, dass die Schuhbesitzer sich auf den Weg machten, vor Terror und Krieg flohen, um ein bisschen mehr Glück und Wohlstand, Würde und Zukunft für ihre Kinder zu suchen.
Ähnliche Imagination funktioniert mit den Stahlseilen, die für die alten Olivenbäume im Lager Moria stehen sollen. Diese Olivenbäume dienten als Garderobenhalter, Aufhänger des Wasserkanisters – vielleicht – und sind Zeugen eines sehr spartanischen „Haushalts“, einer Notunterkunft.
Kunst ist Medium zur Reflektion – ein Vehikel zur Weltverbesserung ist sie nicht. „Kunst ist Waffe“, sagte Friedrich Wolf (1888 bis 1953), Arzt, Dramatiker, Kommunist. Die Reflektion, der Blick „hinter“ die Gegenstände und das Nachdenken funktionieren im Langhaus Oldenstadt mit Sicherheit. Inwieweit die Installation von Rheim Alkadhi als Waffe zu benutzen ist – Wofür? Gegen wen? – muss der Betrachter entscheiden. Der aber käme nur über Aktion zu dem, was die Künstlerin einfordert: Widerstand und Rebellion. Nicht von Schaden dafür wären ein paar fundierte gesellschaftspolitische Einsichten – vielleicht von Karl Marx -, um am Ende wieder bei Bert Brecht den Ansatz zu finden: „Kameraden, sprechen wir von den Eigentumsverhältnissen!“ Denn eigentlich geht es doch immer nur darum.
Vernissage ist am Samstag, 23. April 2022, um 17 Uhr im Langhaus Oldenstadt. Öffnungszeiten bis 25. Mai 2022 freitags und samstags,15 bis 18 Uhr, sonntags von 11 bis 13 und 15 bis 18 Uhr.
Die Ausstellung wurde zwar unabhängig vom Niedersächsischen Landesprogramm „Schule : Kultur“ konzipiert, in einem Gespräch mit dem Fachbereich Kunst des Lessing-Gymnasiums ergaben sich jedoch Aufgaben beziehungsweise ein Konzept für die Schülerinnen und Schüler des 12. Jahrganges, wie sie zu ArtScouts (für diese Ausstellung) ausgebildet werden können.
Es ist geplant, dass sie während der Finissage am Mittwoch, 25. Mai 2022, um 18 Uhr, durch die Ausstellung führen.