mixed genres

27.11.2021 - 09.01.2022

Eröffnung: 27.11.2021 um 15:00 Uhr
Woltersburger Mühle
Woltersburger Mühle 1, 29525 Uelzen

Öffnungszeiten

Freitag 14 bis 18 Uhr; Samstag/Sonntag 9.30 bis 18 Uhr; Besuch von kleinen Gruppen nach Absprache mit der 2. Vors. des KVU Renate Schmidt; Tel: 0581-76675 oder 0170-3325029

“BLICK AUF UELZEN” von Künstlerinnen und Künstlern der Region

Aus Anlass des 750-jährigen Stadtjubiläums haben sich Künstlerinnen und Künstler der Region zwischen Hamburg und Hannover mit Uelzen und dem Umland auseinandergesetzt. Die Ausstellung zeigt die verschiedenen künstlerischen Positionen und Sichtweisen der Beteiligten von außen und innen auf den Ort Uelzen. Deutlich treten die Unterschiede nicht nur in den gewählten Techniken und Materialien hervor zwischen flächiger (Fotografie, Grafik, Malerei, Collage, Mischtechniken) und skulpturaler Darstellung, sondern auch im Bezug zum Thema – ironisch oder assoziativ, zart oder handfest, lyrisch oder historisch, natürlich auch kritisch. So findet man z.B. Bezüge zur Zuckerfabrik, zum Goldenen Schiff, zu den Heiligen von St. Marien, den Ilmenauauen, zum Hunderwasserbahnhof, zu weiteren Stadtsymbolen oder zu Institutionen in der Stadt.

Ulrike Bals, Helmut Bredtmeyer, Annette Grund, Claudia Krieghoff-Fraatz, Katja Lasar, Georg Lipinsky, Petra Merz, Rena Meyer, Waldemar Nottbohm, Katja Schaefer-Andrae, Renate Schmidt, Wilhelm Tarnow, Simona Staehr und Petra Vollmer: sie alle zeigen ihre künstlerische Sicht auf Uelzen. Der Betrachter erhält viele künstlerische Bilder dieses einen Ortes, die sich collageartig zu einem Ganzen zusammenfügen und vielleicht sogar mit ihren unbekannten Facetten zu neuen Betrachtungsweisen führen können.

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Mit klarem Blick
Künstler schauen auf ihre Stadt – zur Ausstellung im Kunstverein Uelzen

Was lange währt, sagt man, würde gut. Für diese Ausstellung war eine überdimensionierte Zeit des Währens und der Vorfreude nötig, denn sie sollte bereits vor einem Jahr, auch anlässlich des 750. Stadtjubiläums, eröffnet werden. Jetzt jedoch ist es soweit: Künstlerinnen und Künstler der Region sind beim Kunstverein zu Gast. Diese Symbiose hat schöne Tradition.

Was die 14 Kunstschaffenden unter dem Titel „Blick auf Uelzen“ summieren, könnte unterschiedlicher nicht sein. Die gewählten Techniken und Materialien, der Bezug zum Thema, der mal ironisch, mal assoziativ ist, zart oder handfest, lyrisch oder historisch, die Formate – die Ausstellung ist eine Entdeckungsreise.

Vor ein paar Jahren gab es einmal eine BBK-Ausstellung zum Thema „Provinz“, was auch Uelzen und den Landkreis meinte. Damals waren bitterböse Bilder dabei. Und auch dieses Mal kommen die Werke durchaus kritisch daher. Obgleich die Kunst ein Medium zur Reflexion ist und eher kein Mittel zur Weltverbesserung. Kunst müsse stolpern lassen, sagte Vernissagerednerin Kathrin Marie Arlt, weshalb die Entscheider über die Belange in und für diese Stadt gut daran täten, sich Zeit für die Arbeiten zu nehmen. Sie erführen, wo es hakt.

Den einen der beiden Räume dominieren die zwei großen Porträts von Simona Staehr: „Apollonia“, jüngere Schwester von Herzog Ernst, dem Bekenner und „Aetatis“ (Jetztzeit),
eine moderne Frau. Die sind wahrscheinlich das schönste Gesicht von Uelzen: Gleichmäßige Züge, umrahmt von bunten Farbkreisen. Zwei selbstbewusste Frauen, die eine zeitlos, obwohl 500 Jahre alt, die andere genauso jung, aber vielleicht von nebenan. In Uelzen heißt neuerdings eine Schule nach Apollonia – nehmen sie den Namen als Verpflichtung dort? – An der Wand gegenüber drei ebenso freundliche Arbeiten von Annette Grund: „Willkommen und Abschied“ heißen sie. Obwohl, sieht man genauer hin, ist die See, auf der das goldene (?) Schiff treibt, ziemlich stürmisch. Und ist es nun eine gute Idee, in Uelzen anzukommen oder die bessere, es lieber zu verlassen? Bei Claudia Krieghoff-Fratz ist das Schiff inzwischen schon auf Grund gelaufen, deklariert sich aber als „Hochseeflotte“.!

An anderer Stelle wird es schon auch mal sarkastisch oder noch schlimmer: spöttisch. Da fragt Renate Schmidt mit sechs Bildern „Quo vadis, Ulyssea?“ Genau das treibt einen selbst auch manchmal um, betrachtet man die scheinbar planlosen, langjährigen Bauarbeiten oder die Umweltsünden, für die man als Ursache die Dollarzeichen in den Augen der Verantwortlichen ausmachen kann. Wohin gehst du, Uelzen?Bei Renate Schmidt sind alle abgebildeten Objekte aus dem Gleichgewicht, im Sturzflug, im Sinken sozusagen. Das neue
und alte Rathaus, das Amtsgerichtsgebäude, diese Lions-Bank am Ratsteich, mit der alles anfing, wie die Künstlerin sagt. Nur der einsame Weg an einem Waldesrand scheint im Lot zu sein. Was einen aber angesichts der maßlosen Baumfällarbeiten und der Zerstörung von Wegen und Unterholz im Stadtwald durch schwere Technik auch wieder zweifeln lässt. Wohin also gehst du, Uelzen? Wirst du zur ungepflegten Schmuddelstadt oder zu einem liebenswerten Ort inmitten von schöner Landschaft? Das bleibt die Frage, und die Antwort ist nicht eindeutig zu geben.

Grau und bunt gleichermaßen sind die Bilder dieser Ausstellung. Zwischen Historie, Zuckerrübe und Goldenem Schiff. Die Arbeiten bleiben nicht arglos gegenüber gegenwärtiger und zukünftiger Entwicklung. Ist doch das Triptychon von Georg Lipinsky „Uelzen – Wasser/Klima/Heide“ beispielsweise im Bild „Wasser“, das als drohender Tsunami à la Hokusei daherkommt, eher Warnung. (Der Oldenstädter See trocknet langsam aus und keiner tut was!) Wilhelm Tarnow nimmt sich des Zuckers an und liefert mit seinem mehrteiligen
„Alles auf Zucker“ witzige dreidimensionale Collagen im Kasten, die er mit Würfelzuckerstückchen krönt. Zwischen Kubismus und Dampfschiff – das brachte aber wohl eher den Rohrzucker.

Rena Meyer erinnert mit ihren Bleistiftzeichnungen an ihren früheren Schulweg, auf dem sie immer an der wunderbaren Skulptur „Sitzende“ von Helga Brugger vorbei kam. So gehen
Frauendenkmale, möchte man den Zeitgenossen zurufen! Und überhaupt gehörte diese Bronze an einen renommierteren Ort in der Stadt und nicht in die verwildernden Ilmenauwiesen in der Nähe des Lessing-Gymnasiums.

Das vermeintlich Ablesbare braucht den Schlüssel des Verständnisses – das funktioniert mit dieser Ausstellung richtig gut. Schaut der Betrachter doch in einen Spiegel, in ein Abbild seiner Stadt. Denn in Ausstellungs- und Theaterzeiten will man etwas anfangen mit sich, man will enthalten sein, vorkommen in Gehörtem und Gesehenem. Ob erschrocken, überwältigt, erfüllt oder bestätigt – egal. Beim Betrachten dieser 72 Arbeiten kommt man vor. Finden sich eigene Ansicht, erlebtes Gefühl, angestauter Ärger auch. Weshalb das Ganze sehenswert und empfohlen ist.
Die Historie thematisierende Collagen, das quirlige Hundertwasser-Mosaik, die Hommage für verehrte Künstlerkollegen, die in der Stadt wirkten in der Vergangenheit, aber manchmal das Grau der Hoffnungslosigkeit. Die Künstlerinnen und Künstler verbinden die Landschaft mit der Arbeit der Menschen, was nicht immer ein glückliches Ergebnis hat. Sie sind auf keinen Fall dummer oder falscher Lokalpatriotismus, sondern auch ein „Obacht!“, vielleicht Sorge um die Stadt, die durchaus angebracht ist.
„Städte bestehen aus Erfahrungen und Erinnerungen“, zitierte Kathrin Marie Alt den klugen Denker Roger Willemsen am Schluss ihrer Ausführungen. Uelzen hat in 750 Jahren einen
ganzen Berg von beidem angehäuft – man müsste sie nur nutzen.

Zu sehen ist die Ausstellung, zu der es einen schönen Katalog gibt, bis 09. Januar 2022, freitags und samstags, 03./04., 17./18. Dezember und 07./08. Januar, 15 bis 18 Uhr, sowie
sonntags, 05., 19. Dezember und 09. Januar, 11 bis 18 Uhr. An den Samstagen erklingen immer um 15 Uhr dreißigminütige Konzerte, ausgerichtet durch Lehrer, Schüler und Ehemalige der Musikschule Uelzen.

Barbara Kaiser
28. November 202

 

Begrüßung
Renate Schmidt, 2. Vorsitzende

Grußwort der Stadt
Bürgermeister Jürgen Markwardt

Einführung
Kathrin Marie Arlt, KVHS, Freie Jurnalistin

Musikalische Beiträge
Schüler:innen der Musikschule Uelzen

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Kunst-Ausstellung – 750-jähriges Stadtjubiläum / November 2021 / Kathrin Marie Arlt

Als mich Petra Vollmer vor gut einem Jahr gebeten hatte, zur
Ausstellungseröffnung eine Rede zu halten, dachte ich: Super – eine gute Gelegenheit, um eine flammende Ansprache für die Systemrelevanz von Kunst und Kultur im ländlichen Raum zu halten.

Dann stellte sich für mich allerdings heraus: Es geht um die Einführung in die Ausstellung. Und damit ist natürlich klar, dass es nicht um die – von mir so wahrgenommene – Schieflage im gesellschaftlichen Wertesystem gehen soll. Ich versuche dem einfach mal gerecht zu werden.

Es geht heute um die Menschen, die hier ihre Bilder zur Schau stellen. Es geht um die von ihnen hier gezeigten Bilder und Werke. Und: Es geht um die Stadt, der sich die beiden engagierten Vereinigungen, Kunstverein & Bund Bildender Künstler*innen verbunden fühlen – um Uelzen.

Ein Blick auf Uelzen von Künstlerinnen und Künstlern aus der Region. Und ein Einblick, wie künstlerisch tätige Menschen diese Stadt sehen.

Wie wertvoll dieser Blick sein kann, das wurde in den Vorworten des Ausstellungskatalogs bereits erwähnt: Der andere Blick … die vielleicht neuen oder anderen Perspektiven … neue Einsichten…

Wie kommen nun ausgerechnet die Künstler*innen dazu?
Und: Was haben wir davon?
Oder – wie Gerard vermutlich augenzwinkernd fragen würde: Was erlauben Kunst?
Meine Antwort wäre: Wir stolpern.
Und Kunst erlaubt uns freundlicherweise zu stolpern.
Quasi – für einen guten Zweck!
Stolpern für einen guten Zweck – wie geht das zusammen?

Alles um uns herum ist – mehr denn je und mit Riesenschritten – in Veränderung begriffen. Transformation ist ein großes Leitthema. Ebenso – und untrennbar davon: Digitalisierung. Corona und das Agieren innerhalb einer Pandemie – all das verlangt von uns mehr denn je Flexibilität – und viel Energie für ein Um-Denken.

Künstlerische Arbeiten mit Stift und Papier, mit Farben, Formen und Materialien bilden für diese Veränderungen so wertvolle Impulse. Die Auseinandersetzung mit Kunst, mit kreativen Experimenten, mit UnGesehenem, ästhetisch Erfahrbarem, noch nicht Vordefiniertem – das alles mag uns gedanklich stolpern lassen. Und es kann uns lehren, anders zu denken.

„Anders Denken zu können“ ist, meiner Meinung nach, ein fabelhafter Weg, um gut und gerne durch Umbruchzeiten zu gelangen. Wir hören ein Stück Musik, lesen einen überraschenden Text, sehen ein – vielleicht unverständliches – Bild.
Wir stolpern.
Unsere Gedanken werden für einen kleinen Moment vom gewohnten, reibungslosen, vielleicht ängstlichem, auf Sicherheit und Wellness konditionierten Weg abgebracht.
Individuelle Erfahrungen und Haltungen kommen auf den Prüfstand.

So kleine wertvolle Momente erhoffe ich mir, wenn ich mir zeitgenössische Arbeiten von kreativen Menschen ansehe.
In dieser Ausstellung, die im vergangenen Jahr und anlässlich des 750-jährigen Stadtjubiläums konzipiert wurde, haben sich Künstler:innen mit ihrer ach so vertrauten Umgebung auseinandergesetzt.

BLICK auf UELZEN

Einiges scheint tatsächlich vertraut. Beispielsweise die Bus-Muscheln in Petra Merz Collagen, die sich in einigen Orten noch als Unterstand für Wartende finden. Für Petra Merz erinnern sie an schützende und spielerisch-schöne Treffpunkte aus Kindertagen. Sie erinnern Sie an Pilze. Und diese finden sich in ihrem Bild eben nicht an der Straße, sondern inmitten von Birkenstämmen – familiär, geborgen.

Oder eines der Uelzer Lieblingssymbole – das Goldene Schiff. Claudia Krieghof-Fraatz setzt es auf die Straße – mächtig oder verlassen? Annette Grund lässt es auf die Reise gehen – verloren in einem sehr weiten Meer – eine Rückkehr oder ein Abschied – vielleicht: auf zu neuen Ufern? Bei Ulrike Bals lungert die Manet‘sche-Frühstücksgesellschaft vor dem Ratsteich. Georg Lipinsky lässt – hoffentlich nicht seismographisch – vor der Silhouette der Stadt eine Riesenwelle aufrauschen.

Die Uhl, die Rübe, der Ratsteich, das goldene Schiff, das Fachwerk in der Lüneburger Straße, die Marienkirche, die Industrie, die Landschaft, Hundertwasser, Zucker, Uelzener Persönlichkeiten… Hier finden sich Facetten der Stadt, ihrer Geschichte und Geschichten wieder.

… ein BLICK auf Uelzen eben – und dann wird dieser Blick etwas verrückt. In ganz unterschiedlichen Techniken und mit unterschiedlichen Perspektiven bewegen sich die Künstler:innen mit ihren Arbeiten weg vom gewohnt Vertrautem, dichten dazu, reduzieren auf einen Kern, suchen das Detail – und finden, wie Katja Schäfer-Andrea es in ihren Bildern zeigen will: „im Kleinen das Große“ – geben einen eigenen Blick wieder, verstören, verzaubern, ironisieren. So gelingt es, mit ihrer Sicht und Darstellung der Dinge über das Sichtbare und das Aussehen hinauszugehen.

Sie bringen etwas Neues hervor – etwas, das es nicht bereits gegeben hat. Sie überschreiten Bedeutungen, gehen über das Mögliche hinaus – schaffen neue Möglichkeiten.

Kultur – ob im Schauspiel, der Malerei, Literatur oder der Musik – kann es gelingen, einen Raum des „als ob“ zu öffnen.
Und damit öffnet sie Grenzen, lädt ein zum Diskurs, schafft friedlich Kontroversen.

Mit dem Blick auf Uelzen ermöglichen uns die Künstlerinnen und Künstler – in dem Wissen, dass es eine Referenz gibt – neue Reflexionsräume zu betreten. Und ich hoffe sehr, dass diese Ausstellung und vor allem das Potential, das sich in
den Kunstschaffenden und in der Kultur für eine Stadt findet, nicht „nur“ der Abschluss einer 750-Jahr-Feier sein wird.
Städte bestehen – in meinem Bild von Welt – nicht nur aus Wirtschaftskraft, Glasfasernetzen, historischen Bauwerken und Neubaugebieten, Arbeitsstellen, Verwaltungen, Symboltieren und Restaurants. Städte – also Gemeinschaften – bestehen aus Menschen – und aus Ideen und Gedanken, die wir vielleicht bei oberflächlicher, alltags-dienlicher Betrachtung erst einmal nicht brauchen – die aber so wertvoll sind.

Der viel-denkende Autor Roger Willemsen formulierte einmal: „Städte bestehen im Kern aus Erfahrungen und Erinnerungen“. Es gehe für ihn darum, einen Blick für die Stadt zu haben, der Qualität und Wert schaffe, nur dann könne „Lebensqualität“ entstehen. Und er ist sich sicher gewesen: „Das Wachstum der
Stadt nach innen hat keine Grenzen“*.

Kunst und Kultur können an dieser Stelle eine – dann doch – systemrelevante Rolle einnehmen. Und eine Human-Relevante – also eine, die nicht nur den Schein nach Außen wahrt, sondern den nach Innen ermöglicht und der für die Menschen, die hier leben, mitunter erhellend sein darf.

Zum Abschluss möchte ich Sie einladen:
Nutzen Sie die Werke zum Anlass eines Gesprächs. Tauschen Sie sich aus – über IHRe Stadt – und die Kunst. Was ist vertraut? Was schön? Was erschreckt Sie vielleicht? Bleiben Sie neugierig – stolpern Sie.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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* 2011, Rede von Roger Willemsen beim Neujahrsempfang der Stadt Mannheim