Galerie im Theater an der Ilmenau
Greyerstraße 3, 29525 Uelzen
Samstag 15 – 18 Uhr
Sonntag 11 – 13 Uhr und 15 – 18 Uhr;
Besuch von Gruppen nach Absprache mit
der 2. Vorsitzenden des KVU Renate Schmidt,
Tel. 0581-76675 oder 0170-332 50 29
So viele Geschichten!
Zur Kunstvereinsausstellung mit Bildern von Ting Zhang vom 04. Juni bis 02. Juli 2023
„Every breath you take (jeden Atemzug, den du nimmst)/ And every move you make (und jede deiner Bewegungen)/ Every bond you break (jeden Bund, den du brichst)/ Every step you take (jeder Schritt, den du machst)/ I’ll be watching you (ich werde dich beobachten).“
Was hier nach schwerem Stalking klingt, ist der Titel von acht Bildern in der neuen Ausstellung des Kunstvereins. Der Künstler Ting Zhang hat sich ein Lied von „The Police“ aus den 1980er Jahren ausgesucht und erzählt eine sehr persönliche Geschichte dazu…
Im Theaterkeller sind noch bis zum 02. Juli 2023 zwei Dutzend Gemälde des in China geborenen Malers zu sehen, die einen, das sei zugegeben, am Anfang ein wenig ratlos zurücklassen. Denn was finge man mit dem Gebäude einer Supermarktfiliale an oder der leeren Papiertüte einer anderen Kette? Oder was machen Panda und Wolf im Zwiegespräch, über ihnen der Nachthimmel, beleuchtet von ein paar Straßenlaternen? Dem Betrachter wären ein paar Geschichten hilfreich, die der Künstler zu erzählen hat vor seinen Arbeiten. Aber Ting Zhang ist der Meinung, dass „ein gutes Bild offensein soll“ für alle Arten der Interpretation. Weil eben jeder mit seinen ganz eigenen Geschichten herumläuft.
Ting Zhang wurde 1982 in China geboren. Gezeichnet und gemalt habe er schon immer, elterlich vorbelastet sei er nicht und seine Eltern seien eigentlich immer noch dagegen, dass er als Maler versucht, sein Brot zu verdienen. Mit 19 Jahren reist er nach Japan und lernt zwei Jahre lang diese Sprache, ehe er mit nun 21 nach Onomichi City – im Westen der japanischen Inseln, gar nicht so weit von Hiroshima – an die Universität ging. Dort wollte er eigentlich noch Grafikdesign studieren. Da jedoch alle Studierenden der Erstsemester sich ausprobieren sollten in allen Art und Weisen, Kunstwerke zu erschaffen, Bildhauerei, Malerei, Grafik und Zeichnung, stellte Ting Zhang fest, dass ihm die Malerei am meisten liegt. Auch sein Professor bestärkte ihn darin. In den Jahren 2004 bis 2010 erwarb er den Bachelor und Master Malerei an dieser Hochschuleinrichtung. Von 2012 bis 2015 studierte er noch Bildende Kunst an der HfBK Hamburg und schloss auch hier mit dem Master ab. Warum Deutschland? Die Niederlande standen auch zur Debatte. Nach Westeuropa jedoch ging der Weg, „um sich als Maler weiterzuentwickeln“, wie er im Gespräch sagt.
Seit über zehn Jahren lebt Ting Zhang nun in Norddeutschland und scheint sich wohlzufühlen, obgleich er Heimweh nicht bestreitet. Er beschickte zahllose Gruppen- und Einzelausstellungen zwischen Japan, Berlin, Hamburg und –Uelzen. Seine hiesige nennt er „Blue Pilot“. Über diesen Titel kann man philosophieren, jeder kennt die „Blaue Stunde“ oder wenn jemand „den Blues“ hat. Ist dieser „Blaue Pilot“ einer, der einsam irgendwo fliegt und auf der Suche ist? In dieser Stunden, in der es noch nicht Nacht ist, aber nicht mehr Tag? Wo die Melancholie anklopft oder deren größere Schwester, die Schwermut? „Blauer Pilot“ suggeriert Einsamkeit. Die Ting Zhang in einem zweiten Gespräch heftig dementiert; für ihn ist der „ Blaue Pilot“ die Freiheit. Bleibt zu hoffen, dass ihm dieses beliebte Wort, dieser imaginäre Zustand, auch den Broterwerb sichern wird in der Zukunft.
Aber vielleicht war Ting Zhang doch so ein Einsamer, als er sich Hals über Kopf in diesen Mitarbeiter des Supermarkts um die Ecke verliebte – er erzählt es freimütig und ohne Scheu – und ihn beobachtete. Ihn letztlich auch ansprach und ins Gespräch kam. Inzwischen ist dieser junge Mann mit seiner Freundin verheiratet – keine Chance also. Aber weil Ting Zhang malt, „was mein Herz bewegt“, hängen jetzt in der Ausstellung die acht Bilder mit dem Titel „„Every breath you take“. So habe er sich das Erlebnis auch „von der Seele gearbeitet“, sagt der 40-Jährige und nein, der junge Mann wisse nichts davon, dass er künstlerisches Sujet geworden ist.
Auf jeden Fall verbindet Ting Zhang jetzt diesen Supermarkt mit Helle, Sauberkeit und Freundlichkeit, mit sehr Persönlichem zudem, nicht mehr mit Massenproduktion, schlechten Arbeitsbedingungen, Mitarbeiterbespitzelung und kapitalistischer Ausbeutung. Und der junge Mitarbeiter, ein hübscher Kerl um die 30, bewegt sich, vertieft in seine Arbeit, in einer Art Wald, der die Distanz dieser Beziehung symbolisiert. Für den Farbtupfer sorgt das Paletten Hebegerät in Orange. Manchmal erblüht alles Grün in diesem Dickicht – ein Hinweis auf die romantischen Gefühle des Malers? Manchmal steht der junge Mann ganz am Rand des Bildes – gleich wird er verschwinden, weil er die ihm entgegengebrachte Zuneigung nicht erwidern kann; auch, weil er nichts von ihr weiß.
„Es geht immer um persönliche Eindrücke“, sagt Ting Zhang zu seinen Arbeiten. Aber: Siehe oben, ein Bild soll offen sein für Interpretation. Sicher ist jedoch eines: Der Maler liebt seine Menschen, auch wenn er sich (manchmal) distanziert, der Beobachter bleibt. Dafür bietet er eine Unmenge Details an. Nie ist sein Bild ausschließlich eins im Sinne nur des Abbildens von Gesehenem. Es kann auch eins des Erinnerns sein.
Auf dem Bild „Malerkolonie“ begegnet uns ein Klingelschild. Mit allen Verunzierungen, die so ein Schild trägt: Graffiti, Aufkleber, Schmierereien. In diesem Hause wohnen nach dem Willen von Ting Zhang er selbst und seine Kollegen Henry Matisse, Edvard Munch, Vincent van Gogh und Caspar David Friedrich… Dazu eine Sympathiebekundung für den HSV (dem das Fußballwunder nicht zu Hilfe kam beim Aufstieg!) und den Kiez-Klub St. Pauli. In der oberen linken Ecke fahren Panzer (er habe das Bild 2019 gemalt) – eine Erinnerung an den 30. Jahrestag der Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Ja, die Welt war auch 1989 größer als der deutsche Tellerrand!
Seit 2007 hat der Künstler auch die Porträtmalerei für sich entdeckt. Einige dieser Arbeiten hängen nur hier in Uelzen, weil sie danach wieder in den Privaträumen der Leihgeber verschwinden werden. Der „Vater mit seinen Söhnen“ wird dann beispielsweise nach Mallorca fliegen. Die Porträts sind etwas ganz besonderes und Ting Zhang bekennt einen langen Schaffensprozess. Natürlich müssen sich die Auftraggeber wiedererkennen, aber das Bild bleibt am Ende ein Kunstwerk und keine fotografische Abbildung. Wie Ting Zhang es schafft, eine Balance zu schaffen zwischen charakteristischem Ausdruck des Porträtierten und der eigenen künstlerischen Handschrift ist frappierend.
Damit muss man etwas sagen zum Stil der Malerei. Diese Ölbilder haben einerseits strenge Konturen und doch wieder nicht; Ting Zhang ist ein Stimmungszauberer des feinen Pinselstriches. Das ist besonders deutlich am Nachthimmel der beiden Bilder „Mai – Romantik“. Wäre es ein Foto, würde man es kitschig nennen, so rein und klar und unwirklich ist der Himmel. Und trotzdem wird diese Klippe geradeso umschifft – vielleicht liegt darin die Kunst des chinesischen Gastes.
Gehen Sie also, auch wenn die Versuchung da ist, nicht zu schnell vorüber an diesen Bildern. Ein zweiter und ein dritter Blick lohnen sich auf jeden Fall. Und viele Möglichkeiten, die eine oder andere Facette oder Begebenheit mitzudenken.
Geöffnet ist die Ausstellung im Theaterkeller bis 02. Juli, samstags von 15 bis 18 Uhr und sonntags von 11 bis 13 und 15 bis 18 Uhr. Gruppenführungen kann man anmelden bei Renate Schmidt: 0581/76675.
Barbara Kaiser – 03. Juni 20023
Dr. Belinda Grace Gardner,
Einführung zu: Ting Zhang. Blue Pilot, 04.06.23
Etwas Geheimnisvolles durchzieht die Malerei von Ting Zhang: eine Rätselhaftigkeit, die sich auch in Situationen und Sujets zeigt, die auf den ersten Blick alltäglich wirken. Dies gilt bereits für den Titel seiner Ausstellung, die heute hier im Kunstverein Uelzen im Rahmen des Jahresschwerpunkts zu „Mensch – Figur“ eröffnet wird: „Blue Pilot“. Wer ist der „blaue Pilot“, unter dessen Schirmherrschaft der Künstler seine Auswahl von Gemälden von 2018 bis heute gestellt hat?
Ist es eine Figur, die durch das weite, unbegrenzte Blau eines Sommerhimmels reist, von weit oben auf die Dinge der Wirklichkeit blickend? Ist es ein Avatar des Künstlers selbst – ein symbolischer Stellvertreter, der auf das „freie Leben“, die Freiheit des Blicks und die der Phantasie verweist? Oder symbolisiert er ein „freischwebendes“ Dasein ohne doppelten Boden, das Risiken und Gefahren birgt? Sicher beides. Gewiss ist der Pilot ein Reisender, einer wie Ting Zhang, der zwischen den Welten des Ostens und des Westens zuhause ist.
Geboren 1982 in der nördlichen chinesischen Hafenstadt Dalian, wo er auch seine Jugend verbrachte und schon früh auf Anregung der Mutter hin über einen längeren Zeitraum Zeichenunterricht erhielt, zog es ihn nach dem Schulabschluss zum Studium nach Japan. Die japanische Sprache vermittelte ihm sein Vater, der dafür ein Faible hatte, bereits in seiner Kindheit. Ting Zhang hatte japanische Freunde und liebte Manga Comics und japanische Pop-Musik. Die Großmutter väterlicherseits malte traditionelle „Berg-Wasser“-Rollbilder; der Onkel war seinerseits Verfechter eines realistischen Malstils. Allerdings sieht der Künstler hier keinen direkten Einfluss, vielleicht wirkten die verschiedenen Malstile eher implizit auf ihn ein. Auf jeden Fall wurde Japan zum Zielort für die Umsetzung seines Wunschs, Maler zu werden. Von Kyoto aus, wo er seine japanischen Sprachkenntnisse verfeinerte, suchte er sich eine entsprechende Ausbildungsstätte.
Sein künstlerischer Weg führte ihn zunächst zum Studium an die Onomichi City University, wo er 2008 einen BA- und 2010 einen Master-Abschluss in Malerei erwarb. Auf Empfehlung seiner Kunstgeschichtsprofessorin brach er anschließend zur künstlerischen Weiterentwicklung nach Europa auf: genauer gesagt, nach Deutschland, wo seine Wahl auf Hamburgs renommierte Hochschule für bildende Künste fiel. Hier studierte er bei dem bekannten Verfasser provokanter Malerei, Werner Büttner, der mit Martin Kippenberger und Albert Oehlen die deutsche Kunstszene der 1980er-Jahre aufmischte, und erlangte 2015 an der HFBK in Hamburg einen weiteren Master-Abschluss in Malerei. In der norddeutschen Hafenstadt ist Ting Zhang weiterhin ansässig. Eindrücke aus Hamburgs berühmtem Vergnügungsviertel St. Pauli, wo er in dem von Künstler:innen und Kunsttheoretiker:innen selbst verwalteten Atelier- und Ausstellungsort, 8. Salon, sein Studio hat, spiegeln sich in seinen Bildern, für die er bereits mehrfach ausgezeichnet wurde – zuletzt wurde ihm vor wenigen Wochen der Hauptpreis des City Kunstpreises Hamburg 2023 verliehen.
Als stilistische Impulsgeber nennt der Künstler unter anderem den mittlerweile in Wien lehrenden Hamburger Maler Daniel Richter, den schottischen Maler Peter Doig, sowie – mit Blick in die Kunstgeschichte – auch den norwegischen Meister der Moderne, Edvard Munch, der dem Expressionismus den Weg bereitete. Und doch sehen wir in einer Malerei eine ganzeigene Bildsprache, in der zwar Echos verschiedener Epochen und Vorbilder nachhallen, die aber autonomen ästhetischen Pfaden folgt.
Die frühen Gemälde von Ting Zhang sind noch stark von gesellschaftskritisch-politischen Inhalten geprägt. Protestaktionen für Menschenrechte und Meinungsfreiheit, etwa, aber auch die negativen Auswüchse der Staatsgewalt, fanden Eingang in seine Bilder. Bis heute schwingt in seinem Schaffen eine kritische Haltung gegenüber den Auswüchsen unserer auf Oberflächenreizen und Modetrends reduzierten Konsumgesellschaft, ihrem Mangel an geistig-spiritueller Tiefe, ihrem Fokus auf Verpackungen, Warenfetischismus und schnelllebigen Ereignissen. Eindeutige Botschaften wird man in den Bildern des Künstlers nicht finden, den grundsätzlich eine surreale, traumartige Sicht auf die Realität eigen ist – auch wenn die dargestellten Szenen durchaus wirklichkeitsnahe Züge bergen und auch ungeschönte, raue Seiten des Alltags einfangen.
Kunsthistorische Referenzen treffen in seinen meist in Öl nach selbst aufgenommenen fotografischen Vorlagen gemalten Bildern auf Fragmente von Images aus den heute allgegenwärtigen Medien und auf Szenen aus der eigenen Lebenswirklichkeit auf St. Pauli und anderen Hamburger Stadtteilen: ein Discountladen, der einsam zwischen Bäumen liegt; eine Fußgängerbrücke mit Blick auf den Hafen als Schauplatz eines Rendezvous der anderen Art; ein Waldstück, das in urbane Settings hineinwuchert. Eine von Graffiti umrankte Klingelanlage versammelt die Namen von allen, die kunsthistorisch Rang und Namen und persönliche Bedeutung für den Künstler haben. Als kleiner ironischer Schlenker ist unter Manet, Velázquez, Ensor und Co. ein gewisser „W. A. Tingski“ aufgeführt. Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ prangt als Sticker neben vom Fußballverein FC St. Pauli ausgesparten Lettern.
Wie der Kunsthistoriker Michael Diers, bei dem Ting Zhang an der Hamburger Hochschule für bildende Künste studierte, 2015 in einer Würdigung des Künstlers treffend bemerkte:
„Ting Zhang untersucht Vor-Bilder, die durch ihn zu neuem Leben erwachen. Bei ihm sind es oft alltägliche, soziale, politische oder religiöse Erfahrungen, teils kritisch, teils sarkastisch und ironisch, teils märchenhaft inszeniert und vorgetragen – distanziert durch Übertreibung und Spott oder angerührt durch Hingabe, Zuneigung, Trauer und Melancholie.“ Das Märchenhaft-Enigmatische ist eine Unterströmung, die den Werken des Künstlers grundsätzlich innewohnt und das eingangs genannte Geheimnisvolle, die Magie seiner Bilder in Fluss hält. Ganz besonders stark wird dies sichtbar in den großformatigen Bildern von 2018, die Inhalte des bekannten biblischen Psalms 23 aufgreifen, der mit dem Worten beginnt: „Der Herr ist mein Hirte.“ Die darin enthaltene Heilsbotschaft verspricht, die finsteren Täler von Tod, Not und Einsamkeit zu überwinden: Zustände, die dem menschlichen Schicksal prinzipiell eigen sind. Die aber insbesondere diejenigen, die von Krieg und Krisen geschüttelt oder von Armut und Krankheit erfasst sind, erleiden müssen.
Im Zentrum der hier in der Ausstellung gezeigten Bilder zu diesem Thema leuchtet eine Gestalt in rotem Umhang, der an eine Kardinalsrobe denken lässt, aber auch die in der chinesischen Kultur mit der Farbe Rot verbundenen positiven Energien von Glück und Freude
evoziert. Ting Zhang sieht darin eine Jesus-Figur symbolisiert. Einmal wacht diese über das Totenritual einer letzten Ölung, während ein Straßenmusikant – ein wiederkehrender Akteur in seinem Werk – Gitarre spielend dem Sterbenden Geleit bietet. Ein Giotto-Zitat des „Lamm Gottes“ ist am linken Rand zu sehen. Wir sehen ein weiteres Lamm im Vordergrund. Über der Szene prangen die Worte „Gutes“ und „Liebe“, letzteres als wäre es eine Leuchtreklame über einer Nachtbar. Die Liebe hat verschiedene Gesichter.
Im anderen Bild reitet die rotgewandete Figur auf einem Esel durch eine zerklüftete Landschaft, die an die „Berg-Wasser“-Bilder denken lässt, die in China eine Jahrhunderte alte Tradition haben. Der einsame Reiter ist aber auch ein Sinnbild für den Künstler, der seinen Weg durch unwegsames Gelände finden muss, den Blick auf die in der Ferne strahlende Sonne, die hinter den Bergen versinkt: ein Wanderer, der – wie Ting Zhang selbst – auf der Suche ist. Das Motiv des solitären Künstlers finden wir ein weiteres Mal in einem Gemälde von 2019, das kurz vor der ersten großen Corona-Welle entstand. Hier nun sehen wir quasi von der Bühne aus einen fast geisterhaft-transparent wirkenden Gitarrenspieler vor publikumslosem, leeren Theatersaal stehend. Ein einsamer Rufer, beziehungsweise Sänger, in der Wüste, dem keiner mehr – oder noch nicht – zuhört: eine verschlüsselte Thematisierung eigener Befindlichkeiten des solitär vor sich hinarbeitenden Malers, die sich in der Zeit des Lockdowns und der Isolation natürlich noch verstärkten.
Mittlerweile ist die Befragung von gesellschaftspolitischen Ereignissen und die sozialpsychologische Auseinandersetzung mit den Widersprüchlichkeiten und Kämpfen der Menschen in unserer Zeit einer Selbstbefragung gewichen: eine Beschäftigung mit seiner eigenen Wahrnehmung von Welt und Wirklichkeit als Individuum und Künstler, der zwischen den Kulturen gewissermaßen beheimatet ist und zugleich von außen und von innen auf die ihn umgebende Lebensrealität blickt. Und doch bleiben traumartig-surreale Verschiebungen ein wichtiger Strang in seinem Werk, das bereits seit seiner Studienzeit in Japan auch realitätsnahe (Auftrags-)Portraits von Familien, Großeltern, Kindern und Paaren sowie Einzelbildnisse umfasst: so etwa das Portrait des Ausstellungsarchitekten und Künstlers Jochen Messer hier in der Ausstellung, der in derselben Hamburger Ateliergemeinschaft wie er ein Studio hat. Wenn man das Sujet kennt, sieht man darin sogleich dessen Wesensart erfasst, die Genauigkeit, mit der Jochen Messer seiner Arbeit nachgeht, die Nachdenklichkeit und Introspektion, die ihm eigen sind. All das fängt Ting Zhang in seiner Malerei ein.
Dem stehen wiederum urbane Landschaften gegenüber, in denen Realismus und Surrealismus nahtlos ineinanderfließen. So auch in den Bildern des Paars, das zur „blauen Stunde“ im Dämmerlicht auf einer Fußgängerbrücke beieinandersteht: Hamburg-Kenner:innen werden diese unschwer als die Brücke beim berühmten Park Fiction in Hamburg St. Pauli wiedererkennen, von wo aus der Blick auf den Hafen geht. Der Künstler hat die abendliche Szene von zwei Perspektiven aus festgehalten und sich selbst in der Kostümierung des Wolfs, seine Begleitung in der eines Pandas verpackt. So märchenhaft die beiden Gestalten in ihrer Verkleidung auch wirken: In der Logik der Bilder erscheinen sie, von den sanften Schattierungen der Dämmerung umhüllt, plausibel: zwei Menschen, die sich bei einem ersten Date zunächst in ihrer jeweiligen Maskierung gegenübertreten und diese noch nicht abzustreifen bereit sind beim frischen Kennenlernen. Es sind Szenen voller geheimnisvoller Magie, als sei die Zeit für einen Moment angehalten. Eine ganze Serie von Bildern hat der Künstler einer Figur im blauen Hemd gewidmet, dessen Abzeichen diesen als Mitarbeiter der Discount-Kette Lidl identifiziert. Ist er vielleicht der rätselhafte „blaue Pilot“, der Ting Zhangs Ausstellung den Titel gegeben hat? Man sieht ihn in einem Wald, in den zwischen üppigem Grün und teils auch opulenter Blütenpracht Sonnenlicht hineinfällt. Der Himmel schimmert sommerlich blau durch die Bäume hindurch.
Der Mann wirkt in seiner Uniform und seinen Apparaten, mit denen er Bestellungen aufgibt, oder die am Arbeitsplatz zum Anheben von Getränkepaletten zum Einsatz kommen, höchst inkongruent: als würde die Zivilisation hier auf die Natur prallen; eine Figur, die buchstäblich als Fremdkörper in der natürlichen Umgebung erscheint, aber dort zwischen den Bäumen auch seltsam behütet ist, als wäre sie dort ganz und gar bei sich. Das Gebäude einer waldgesäumten Lidl-Filiale, die seltsam still und unbelebt wirkt, als sei sie – permanent oder vorübergehend – geschlossen, bildet ein Pendant zum Mitarbeiter in belaubter Umgebung.
Der Künstler hat sie auf Erkundungstouren durch Hamburg per Fahrrad entdeckt und sie aufgrund ihrer spezifischen architektonischen Form ausgewählt. Tatsächlich wirkt das Gebäude in gewisser Weise generisch, wie der Inbegriff einer Geschäftsstelle, die überall und nirgends stehen könnte.
Im kontextfreien Raum des Bildes wirkt sie beinahe abstrakt: ein Symbol für die Anonymität solcher Bauten, die letztlich als schmuck- und schnörkellose Behälter für den kostengünstigen Lebensmittelverkauf an einkommensschwächere Teile der Bevölkerung dienen. Keine Tempel des Konsums, sondern ein Ort, an dem buchstäblich das Lebensnotwendige besorgt werden kann. Und doch wirkt er in der Umsetzung des Künstlers auch wieder wie ein Fremdkörper: als sei das Gebäude von einem Raumschiff dort niedergelassen worden und harre nun als hermetische Konstruktion seiner (Wieder-)Belebung. Vielleicht ist aber auch gerade die Anonymität und Abstraktion des Geschäftsbaus, wie auch die anonymisierende Uniform des „blauen Piloten“ im Wald, ein wesentlicher Aspekt, den der Künstler in seinen Bildern zu diesem Themenkomplex zu beleuchten sucht: das merkwürdig Unpersönliche, das unseren Alltag nicht nur an den
Rändern begleitet: eine Entfremdung und Befremdung, die im Bekannten, Vertrauten, Trivial-Gewöhnlichen liegt. Und die wir gar nicht mehr wahrnehmen, weil wir darüber hinwegsehen, diese Nicht-Ereignisse ausblenden, nur nach dem nächsten visuellen Kick, dem nächsten Highlight, dem nächste Selfie-würdigen Event Ausschau haltend.
Trotz der offenkundigen Neigung zur Figuration gewinnt in der Malerei von Ting Zhang die Abstraktion immer mehr an Raum. Darin aber liegt ein eigenes erkenntnisstiftendes Prinzip: Denn in der Fokussierung auf das Beiläufige, scheinbar Unspektakuläre, Leise oder auch Verdeckte öffnet der Künstler den Blick für das, was hinter den Erscheinungen des Alltags und in den Tiefen der menschlichen Erfahrungswelten jenseits der großen Auftritte und Ereignishaftigkeiten unserer medienübersättigten Wirklichkeit liegt. Dass die von ihm sichtbar gemachten Realitäten nicht minder spannungsreich sind, wird offenbar in den zwischen Tag und Traum oszillierenden Visionen seiner Malerei, die immer den doppelten Blick auf die Dinge bergen und ermöglichen: ein multiperspektivisches Sehen, an dem er uns, die Betrachterinnen und Betrachter seiner Bilder, teilhaben lässt.
Samstag 15 – 18 Uhr
Sonntag 11 – 13 Uhr und 15 – 18 Uhr;
Besuch von Gruppen nach Absprache mit
der 2. Vorsitzenden des KVU Renate Schmidt,
Tel. 0581-76675 oder 0170-332 50 29
Freitag / Samstag 15 – 18 Uhr
Sonntag 11 – 13 Uhr und 15 – 18 Uhr
Im Umbau
Montag / Dienstag / Donnerstag 8.00 – 16.30 Uhr
Mittwoch 8.00 – 16.00 Uhr
Freitag 8.00 – 12.00 Uhr