Silke Weyer

"Zwischen Sturm und Stille"

Malerei

22.09.2019 - 31.10.2019

Eröffnung: 22.09.2019 um 11:15 Uhr
Schloss Holdenstedt
Schlossstraße 4, 29525 Uelzen

Öffnungszeiten

Im Umbau
Silke Weyer - Heide

Das Pferd auf dem Sofa

Zur Ausstellung von Silke Weyer im Kunstverein Uelzen

Mit der Überschrift habe ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, schon in eine Richtung gedrängt, was man tunlichst unterlassen sollte. Aber: Das Bild heißt „Auf dem Sofa“; als es
Silke Weyer jedoch auspackte, war es in meinen Augen ein galoppierendes edles Vollblut. Mein Mann wollte im Hintergrund gar ein großes Wildschwein erkannt haben. Erst wenn man genauer hinschaut, schält sich der Gaul, auf einer Couch lümmelnd, aus der Farbe. Es könnte genauso mein Hund sein, der kann solche Pose auch.

Mit dieser Episode ist umrissen, was die Besucher der Ausstellung im Holdenstedter Schloss, in dem bis zum 31. Oktober 2019 Arbeiten von Silke Weyer zu sehen sind, erwartet: Überraschung. Die swingenden Farbgeflechte (ver)bergen oft anderes, als man zu sehen glaubt. Auch als es der Titel suggerierte. So heißt ein zwei Mal eineinhalb Meter-Format „pomme de terre“ – Erdäpfel. Im Erzgebirge sagen sie „Ardäppl“ dazu. Kartoffeln also. Das Bild aber zeigt Äpfel im Gras. Solche, die Schneewittchen zur Ehre gereichten!
Silke Weyer verführt die Betrachter durch zauberhafte Farbformgebilde, auf denen die Farbe sickert, sintert, Flächen bildet, als Rinnsal, Klecks oder Spritzer daherkommt. Auf dem
sicheren Grund handwerklichen Könnens – das beweisen zudem die Grafiken und einige wenige Skizzen in der Ausstellung – erschuf die Künstlerin, die in Berlin lebt, aufregende Lichtbilder, auf denen sie auch den Mut zur weißen Fläche hat. Es verbinden sich gesteigerte Farbigkeit und monochromatische Enthaltsamkeit zu emotionsgeladenen Schöpfungen.

Silke Weyer wurde in Anklam geboren (1974). Die Stadt im östlichsten Vorpommern liegt an der Peene, kurz dahinter beginnt die Insel Usedom. Viel Landschaft also, die schon das 12-jährige Mädchen Silke zu bannen versuchte. So lange weiß sie schon, dass sie Künstlerin werden will, die Großmutter fördert sie. Nach dem Abitur tauchte Silke Weyer in die Szene in Berlin Prenzlauer Berg ein, in der es in den 1990er Jahren wild und chaotisch zugeht. Von überall her kommen die Künstler, Hausbesetzungen sind nicht unüblich. Inzwischen sind in diesem Stadtteil die Mieten kaum noch zu bezahlen und das Wilde ist wohl eher dem gut Situierten gewichen. Weyer bleibt einsilbig, nach dieser Zeit befragt. Egal wie, im Jahr 2004 begann sie ein Studium an der Kunsthochschule Berlin Weißensee, das sie 2009 mit Diplom beendete und Meisterschülerin bei Professor Werner Liebmann wurde. Im Jahr 2012 erhielt sie für ein Jahr ein Stipendium in Mexiko bei der Professorin Martha Elena Oliveras y Alberú, wo sie sich auch mit dem Siebdruck beschäftigte.

Silke Weyer nimmt sich zum Malen Auszeiten und verlagert ihre Arbeitsschwerpunkte dann nach außerhalb Berlins. Nur so können Bilder mit dem Titel „Heide“, „blauer Morgen“, „Gräser“ oder „in voller Blüte“ entstehen. Ihr „purple rain“ ist hingegen auch in der Großstadt denkbar, wenn es nach dem Lied von Prince aus dem Jahr 1984 entstand, das eine gescheiterte Liebesbeziehung thematisierte: „I only want to see you laughing in the purple rain“ – Ich wollte dich doch nur im rosa Regen lachen sehen… (und dir zu keiner Zeit Kummer und Schmerzen bereiten) heißt es im Text. Auf dem Bild (210 x 155) klatschen die Regentropfen, die aus einem giftig pinken Himmel fallen, in die Pfützen. Ja, eine gescheiterte Liebe ist
immer zum Weinen.

Silke Weyer hat die Farbe von der Gegenständlichkeit befreit und trotzdem erzählen ihre Bilder Geschichten. „Man muss machen, worauf man Lust hat“, sagt die 45-Jährige auf die
Frage, wie sie zu den jeweiligen Formaten findet. Im Großen habe man einen ganz anderen Schwung, der mit einem befreienden Moment einherginge, ist sie sich sicher. Dagegen ist das Zurückgehen in das kleinere Format verbunden mit mehr Intensität. Von ihren Auszeiten käme sie mit Eindrücken und Skizzen zurück, erklärt Weyer. Eigentlich kommt sie überhaupt vom Zeichnen. Früher noch mit dem Kohlestift. Später kam die Aquarellfarbe in Tuschebilder, dann die Acrylfarbe, jetzt malt sie mit Ölfarben.

„Eigentlich sind meine Bilder abstrahierte Landschaften“, zeigt sich Silke Weyer überzeugt. Die Kompositionen habe sie vorher im Kopf, den Titel nicht. Und so wachsen „Abendluft“ mit dem rötesten Abendrot, das es gibt. Oder „knackekalt und
dünnes Eis“ in frostigem Blau. Oder „Lilien und Schmetterlinge“ in zartem Azur mit rosa Blüten. Und wenn die Beschreibungen jetzt hier nach Kitsch wssklingen, dann ist das genauso ein Irrtum wie das Pferd auf dem Sofa! Entdecken Sie einfach die Geschichten, die Silke Weyer erzählt, selber. Oder schreiben Sie Ihre eigene vor den Bildern in der Ausstellung.

Es funktioniert!

Barbara Kaiser
20. September 2019

Einführungsrede zur Ausstellungseröffnung 

Mit wenigen expressiven Pinselstrichen hält Silke Weyer in ihrer Malerei den flüchtigen Augenblick fest. Wir sehen zahlreiche landschaftliche Momentaufnahmen. Wenn man diese luftig-leichten Szenen genauer betrachtet, erkennt man, dass die Malerin alle überflüssigen Details eliminiert hat. Das heißt: Sie konzentriert sich auf das Wesentliche im dargestellten Moment, sie lässt Nebensächliches weg. Man könnte auch sagen: Sie abstrahiert.

„Abstrahere“ (abstractum) – das bedeutet wörtlich: „abziehen, wegziehen“. Ein abstrakt arbeitender Künstler versucht also, aus dem Zufälligen das Allgemeine oder das Wesentliche (durch Abstraktion, also durch „Weglassen“) herauszufiltern. Und das Abstrakte? Löst irritierte, manchmal missmutige Fragen in uns aus. Was soll das denn sein, höre ich nicht selten von meinen Schülern? Kannst du da was erkennen? Hängt das überhaupt richtig herum? Abstraktion kann uns manchmal beunruhigen. Aus einem einfachen Grund: Wir haben keinen Namen für das, was wir sehen. Nicht so bei Silke Weyer´s Werken.

Die Künstlerin, die tagebuchartige Skizzen als Ausgangsmaterial und Erinnerungsstützen für ihre Malerei nutzt, kreiert mit ihrer offenen und zugleich verdichteten Bildsprache abstrakte Werke, die einen stillen und klaren Moment für den Betrachter schaffen, dessen Sog und Wirkung man sich nur sehr schwer entziehen kann.

Die Kunstwerke laden zu einer’ intensiven Betrachtung ein. Denn die Künstlerin lotet minutiös und vielschichtig die Intensität und Wirkung von Farbe aus. Je länger man hinschaut, desto mehr differenzieren sich die Farben aus. Auf einmal ist das Bild gar nicht mehr nur blau oder rot, sondern es zeigen sich immer neue, vielfältige Farben, die ebenfalls „mitspielen“, ohne dass wir es auf den ersten Blick gleich bemerkt hätten. Ob mit dem Pinsel, spachtelartig aufgetragen oder großflächig zerfließend – jede Farbe findet ihr eigenes Profil, erhält eine sichtbare, geradezu sinnliche Oberfläche. Fast wünscht man sich, Silke Weyers Bilder zu berühren und die Farbe erfühlen zu können – was ich Ihnen aber zum Schutz der Kunstwerke leider verbieten muss. Hier arbeitet sich eine Künstlerin an ihren ganz eigenen Fragen ab. Wie entsteht ein Leuchten? Was macht die nie endende Kraft der Farbe aus? Was passiert mit uns beim Anblick von Farben? Nicht zufällig stellen sich beim Betrachten dieser Bilder trotz aller Abstraktion immer wieder Assoziationen von Landschaft, von Wasser, Licht oder Pflanzen ein.

Darüber hinaus durchweht ein Hauch von stiller Glückseligkeit all diese Gemälde. Man nimmt zumeist dynamische sowie zart-poetische Motive wahr, die einen erinnerungswürdigen Augenblick im Dazwischen festzuhalten scheinen. Womöglich sind diese farblich-virtuos, mit wenigen einfühlsamen, gestischen Pinselstrichen dargestellten Motive und Landschaften nah an dem Moment dem schon Goethes Faust so verzweifelt nachspürte.

„Zum Augenblicke dürft’ ich sagen: Verweile doch, du bist so schön!“ Die Künstlerin bestätigt das, wenn sie sagt: „Für mich kann Glück schon in einer gelungen angemischten Farbe, einem exakt gesetzten Pinselstrich oder in einer farbigen Fläche liegen.“

Wenn wir uns also noch einmal auf den Stil und die Machart dieser Werke konzentrieren, dann fällt die scheinbare Leichtigkeit der Komposition sogleich ins Auge. Gewiss sind diese Gemälde hart erarbeitet, kalkuliert, durchdacht – doch
sie erscheinen vor unseren Augen als wären sie der Künstlerin ganz einfach in einer günstigen Stunde aus dem Pinsel geflossen. Die Farbkontraste sorgen für Spannung im Bild; die Farben charakterisieren die Stimmung der Werke und passen sich den Darstellungen an; das Licht modelliert die Bildmotive, es macht sie glaubhaft und verleiht ihnen Wirklichkeit. Und letztendlich entstehen die dargestellten Landschaften und Motive direkt aus der Farbe heraus. Sie erinnern uns daran, dass wir alle nur flüchtige Erscheinungen sind, dass wir in
jedem Augenblick immer nur kurz aufscheinen und im nächsten Moment schon wieder ganz anders gestimmt sein können. Silke Weyer hält diese vergänglichen
Augenblickserscheinungen in ihren Gemälden fest und verwandelt sie in stille, glückselige Ewigkeiten.

Andreja Dominko
9/2019

Werke

Bilder der Eröffnung​