Sandra del Pilar

"Vaterlandsallegorien"

05.02.2017 - 05.03.2017

Eröffnung: um Uhr
Galerie im Theater an der Ilmenau
Greyerstraße 3, 29525 Uelzen

Öffnungszeiten

Samstag 15 – 18 Uhr Sonntag 11 – 13 Uhr und 15 - 18 Uhr; Besuch von Gruppen nach Absprache mit der 2. Vorsitzenden des KVU Renate Schmidt, Tel. 0581-76675 oder 0170-332 50 29
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Vaterland, Mutterland – mein Land?

Zur gegenwärtigen Ausstellung im Kunstverein mit Bildern von Sandra del Pilar

An den Bildern von Sandra del Pilar lässt sich aufs Schönste die Unterscheidung von intellektuell und intelligent studieren. Denn durch sie vollzieht sich, was Jean Paul Sartre in den 1940er Jahren für die Literatur ausmachte: Die Kluft zwischen Autonomem, das vorwiegend und vermeintlich tiefsinnig um sich selbst kreist, und dem Engagierten, das politisch ist und einem Zweck dient.

Die großformatigen Arbeiten der Künstlerin, die noch bis zum 5. März im Kunstverein ausstellt, haben eine Gesinnung und geben dem Betrachter vielfältige Denkanstöße. Man möchte jubeln angesichts dieser Ausstellung, die endlich wieder einmal klar stellt: Hier hat Kunst etwas zu sagen, ist keine gegenstandslos-informelle Wichtigtuerei. So wie Wissen stets mehr ist als Information und Angelerntes, ist diese Kunst viel, viel mehr als Farbe und ein Sujet.

„Vaterlandsallegorien“ nennt die 43-Jährige (*1973 in Mexiko-Stadt) ihre Präsentation, in der sie 14 Bürgerinnen und Bürger ihrer Zweitheimat Soest/NRW danach fragte, was für sie ganz persönlich diesen geschundenen Begriff ausfüllt. Die Antworten sind hochinteressant und zeugen von sehr verschiedenen Einstellungen, Haltungen und Meinungen. Immer jedoch von einer Nachdenklichkeit, die in „postfaktischen“ Zeiten der Fake News wohltuend ist, weil sie der Oberflächlichkeit, die unser Miteinander so oft bestimmt, eine entschiedene Absage erteilt.

Sandra del Pilar ist Mexikanerin, lebt und arbeitet in ihrem Heimatland und Deutschland. Sie studierte in Mexiko mit einem Master-Abschluss Bildende Kunst (Malerei) und an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Kunstgeschichte, neuere Geschichte und Literaturwissenschaft (Magisterabschluss). Dazu promovierte sie über ihren Landsmann, den Maler Juan Cordero. Del Pilar ist mit nationalen und internationalen Preisen und Förderungen verwöhnt und glänzt mit einer regen Vortragstätigkeit, beispielsweise zu Themen wie „Kunst und Gesellschaft.

Was kann Kunst heute?“ oder „Überlegungen zum Begriff der Distanz in der Bildenden Kunst“. Allegorien aufs Vaterland also. Ein abstrakter Sachverhalt soll personifiziert werden. So, wie die Dame Germania fürs Deutsche Reich stand; zunächst, in den Jahren um 1848 bis zur Reichsgründung 1871, voller nationalromantischen Sehnens, später zunehmend mit nationalistischer Propaganda aufgeladen und letztlich missbraucht.

Die Bilder der Ausstellung, die mit Zeichen-Studien, Texten und Objekten in den Vitrinen ergänzt und angereichert sind, implizieren immer einen Text. Die Malerin ließ sich schildern, was dem Einzelnen Vaterland ist, formte dafür eine Allegorie Überschrift und fasste die Erklärungen ihrer Modelle kurz verbal zusammen.

Beispiel gefällig? Mein Lieblingsbild ist die „Allegorie der Utopie“. Darauf steht ein sehr vertrauenswürdiger Mann, der eine Erdkugel in der Hand balanciert. Ein bisschen sieht er aus wie Galilei, was an seiner Kluft liegen mag. Wir erfahren, dass es Professor Dr. Wolfgang Pippke ist, der unterscheiden möchte zwischen „meines Vaters Land“, das zunächst das Sudetenland war, verloren nach dem II. Weltkrieg, und danach eines ist, das der Sohn mit „spießbürgerlicher Heimeligkeit“ und „engstirnigem Nationalismus“ verbindet. Kein schmeichelhaftes Urteil für diese Bundesrepublik in ihren frühen Jahren! Dagegen setzt Pippke eine „Vater-Eltern-Erde mit allen Menschen als Nachbarn“. Eine abstrakte Pangäa, Superkontinent von vor 250 Millionen Jahren – nur jetzt mit friedlichen (!) Menschen besiedelt. Eine Utopie wie gesagt!
Oder: „Allegorie der Identität“. Darauf steht Peggy Hertel. Sie wurde in Dresden geboren, ehe sie in Westfalen landete. Die junge Frau assoziiert bei Vaterland „spontan die liebevollen
Erinnerungen an ihre Kindheit in der DDR“ – sie war zur „Wende“ zwölf Jahre alt -, um festzustellen, dass „die Gegenwart weniger eindeutig und weniger positiv“ ist. In der Hand hält die selbstbewusste Frau einen roten Schal, einen (schwarzen) Hammer und einen goldenen Bundesadler, der jedoch das Leben aushauchte und elend aussieht. Peggy Hertel und auch Sandra del Pilar können es nicht wissen: Diese Darstellung einer aufrechten (Körper)Haltung ist frappant ähnlich einer großen Bronzeskulptur („Aufbauhelferin“ oder „Trümmerfrau“), die alle tatkräftigen Frauen des Neuaufbaus nach dem Krieg würdigte und seit den 1950er Jahren in Berlin(Ost) steht. Wenn sie noch steht.

Stichwort Bildersturm in den 1990er Jahren! So gar nichts anfangen kann ich mit der „Allegorie des Verstummens“. Ein Bild, auf dem Uta von Wecus mit zerbrochenen Puppen auf dem Schoß sitzt und das Vaterland mit dem „Schrei“ Edvard Munchs identifiziert und „der erstickenden Rollenverteilung, welche die Frauen an den Herd, an die Frisierkommode und ins Ehebett schickt.“ Mag sein, es bleibt mir fremd, weil es absolut nicht meine Erfahrung ist.

Es gab in der DDR in den 1970er Jahren ein (Jugend) „Lied vom Vaterland“. Darin fragte der Textdichter Kurt Demmler: „Was hatte unser Großpapa an seinem Vaterland? Er hatte die
Verwunderung, dass er`s heil überstand. Er hatte seinen Kaiser, er hatte seinen Krieg und, was dann auch nicht besser war, die erste Republik.“ In der zweiten Strophe heißt es: „Was hatte unser Vater dann an seinem Vaterland? Er hatte eine Uniform und `ne durchschossne Hand.Er hatte einen Freund auch, der starb nicht an der Front. Der starb, wo mancher mit ihm starb, weil er nichts zusehn konnt. Das hatte unser Vater dann an seinem Vaterland: Ein Reich, ein Reich, ein Riesenreich – doch Gott sei Dank zerschlug man`s gleich. Uns blieb nur der Verstand.“ – Wirklich? Die letzte Frage, danach, was „wir selber heut an unserm Vaterland“ hätten, hat sich
zwischenzeitlich historisch erledigt. Ist aber, das bleibt meine Überzeugung, deshalb nicht obsolet geworden: „Dass wir Herren sind – die Herrn im eignen Land.“

Sandra del Pilars Bilder sind keine bloße Schilderung, keine leere Zusammenfassung dessen, was ihr die Leute erzählten; die Werke sind emotionale Ansprachen an den Betrachter, sind
Provokationen, die auch von einer Verantwortung ihres Künstler-Seins sprechen. Die Malerin kritisiert zwar, dass „Bilder Wirklichkeit machen“ – eine Tatsache, die in Zeiten der digitalen Medien unbestritten bleibt – trotzdem malt sie nach der Wirklichkeit. Das aber mit einer Empathie, einer Intensität und einem Einfühlungsvermögen, die ein Stückchen Wahrheit
verdeutlichen. Der Wahrheit, die zwischen dem objektiven Fakt und dem subjektiven Empfinden liegt (siehe auch: Professor Jochen Krantz, Uni Wuppertal, Homepage der
Künstlerin). Die 14 dargestellten Mitbürger der Künstlerin lassen sich nicht auszehren für ein imaginäres Wir, das „Vaterland“ vielleicht ist. Sein soll. Wenn irgendwelche „Events“ Massenhysterie und vermeintliche  Zusammengehörigkeit produzieren wollen. (Fußball!) Diese Menschen bestechen durch eigene Meinung, nicht Mainstream.
Die handwerkliche Perfektion, der meisterliche Umgang mit den gewählten Mitteln der Technik und die Klugheit von Sandra del Pilar heben die Individuen auf eine neue Qualitätsstufe, die Verallgemeinerung erlaubt und Geschichte reflektiert.

Diese Kunst ist die Frage nach Identität, nach dem Woher und Wohin, die Wissen, Geschichte und Tradition gleichermaßen braucht, um nicht zu verkümmern.

Barbara Kaiser

9. Februar 2017

Werke

Bilder der Eröffnung

Werke

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