Malerei

07.05.2016 - 06.07.2016

Eröffnung: um Uhr
Schloss Holdenstedt
Schlossstraße 4, 29525 Uelzen

Öffnungszeiten

Im Umbau
Gröne Déry ZWENIA
Gröne Déry ZWENIA

Künstler-Troika

„Die Malerei reicht der Literatur bereitwillig die Hand“, war sich der russische Dichter Alexander Blok (1880 bis 1921) sicher. Und, so fuhr er fort, sie lehre Kindlichkeit, „sie lehrt, einfach Schönes, Grünes, Weißes wahrzunehmen.“ Ich bin mir sicher, dass ziemlich viel Kindlichkeit – „Schönes, Grünes und Weißes“ sowieso – in den Werken der drei Künstler steckt, die derzeit im Schloss Holdenstedt ausstellen. Denn ihre Bilder besitzen Überschwang und Übermut und die Gabe zur Beharrung, zur unendlichen Wiederholung, gepaart mit einem unverstellten Blick auf Landschaften und Räume, die keineswegs immer nur schön sind.

Es sind drei noch junge Maler, die ihre künstlerische Heimat in der Berliner Galerie „Artgeschoss“ gefunden haben, obwohl sie aus allen Himmelsrichtungen in die Metropole zogen.

Konstantin Déry, Oliver Gröne und Zwenia bilden das Künstler-Dreigespann, das `Gruppenbild mit Dame`, und zeigen noch bis Anfang Juni ihre (meist) Großformate. Die sind vitale Anmaßung mit anekdotischem Mutwillen und Einfallsreichtum. Sind nobel inszenierte melancholische Malerei genauso wie optischer Stress der vielschichtigen, immer währenden Selbsterforschung.

Konstantin Déry kam 1976 in Budapest zur Welt. Er studierte in seiner ungarischen Heimatstadt und später an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig unter anderem bei Professor Arno Rinck. In einem Radiointerview sagte er jüngst über seine Bilder: „Das sind halt einfach Landschaften, die ich sehr gut kennen, die mit meinem persönlichen Leben was zu tun haben… Mich interessiert das visuelle Erlebnis, also unabhängig von zum Beispiel politischen Bedeutungen.“ Einen Text von ihm selbst mag man als Ergänzung nehmen: „Mich
reizt ein spannungsvolles Balancieren zwischen der Ebene der Abbildung… sowie der Verfremdung… und des freien Spiels der Farben.“

Dérys Bilder haben Titel wie „See bei Nacht“, „Nebelgrenze“, „Wasserlache“ oder „Überflutete Landschaft“. Allein, wie der 40-Jährige Wasser malt, verrät handwerkliche Meisterschaft. Die Ambivalenz zwischen präziser Wirklichkeitserfassung und objektivierender Abstraktion könnte eine künstlerische Formulierung für empfundene Zustände sein. Der Mensch ist bei Déry zwar vorhanden, aber nur als ein Schattenumriss. Keine Gesichter, keine emotionale Anteilnahme. Zudem haben die Arbeiten etwas Düsteres, mit „Kämpfende Hunde in nächtlicher Ödlandschaft“ gar etwas Gefährliches. Denn die assoziieren eine zerstörte Erde wie in den gängigen Endzeitfilmen. Kämpfen hier die letzten Überlebenden um verbliebene Pfründe?

Oliver Gröne ist in Lemgo/Westfalen geboren. Angesichts seiner Bäume mögen einem die Monet-Pappeln in den Sinn kommen; der Franzose malte die im Sonnenlicht, im Herbst und an der Epte, dem Flüsschen im Nordwesten des Landes. Gröne jedoch lässt die Kronen weg, seine Bäume sind auch keine Pappeln, sondern Birken (was russische Weite vorstellbar macht). Und er nennt sie natürlich in den seltensten Fällen auch Birken. „Grapefruit Moon“ heißen die dunklen Stämme, durch die ein kalter Vollmond scheint. Bei „Crystal“ färbt sich die Szenerie mit Pink ein. Sein „Reissue modified #2“ ist lichter, gibt Raum und Tiefe. Wobei der Titel „Abgewandelte Neuausgabe“ sich vielleicht nur darauf bezieht, dass es andere Werke mit diesem Motiv gibt (der Hashtag wiese zusätzlich darauf hin) – Lichtung mit Häuschen und blühender Wiese, die obligatorischen Stämme bilden den Vordergrund.

„Modified“ kann aber auch genverändert bedeuten – und damit würde es brisant. Grönes Bilder schließen das Licht in die eigene Tektonik ein und scheinen es zur Materie zu verdichten, wobei der Künstler durchaus eine Sensibilität für theatralische Dramatik besitzt.

„Landschaft soll verschlingen oder gar nicht sein.“ Das ist von Baudelaire. Grönes Baumstämme weisen den Betrachter in den meisten Fällen eher zurück, obwohl sie gleichzeitig Mystik verbreiten und die raffinierte Vergröberung auch anzieht.

Die weibliche Komponente der Ausstellung ist Zwenia. Die junge Frau, geboren 1979 in einer deutsch-tschechischen Künstlerfamilie, studierte zunächst am Hamburger Konservatorium klassisches Klavier. Sie machte einen Abschluss als Mediengrafikerin, ehe sie sich der Malerei zuwandte. „Mich interessiert das Tiefgründige“, sagt sie. „Was Bewusstsein bedeutet… und was uns Menschen darüber hinaus umgibt. Meine Technik ist das Zerteilen, Zersplittern von realistischen Motiven…“ Und so kommen die Bilder auch daher: Als wären sie in einen Spiegel gefallen. Ein hochenergetisches Vokabular erzählt im Stile eines surrealen Realismus. In „Ultra Paradoxon“ bricht ein Elefant durch eine Wand – es darf einem getrost dieses sprichwörtliche Tier im Porzellanladen dazu einfallen. „Baldanders“ huldigt dem gleichnamigen Fabelwesen, das die Eigenschaften des Chamäleons genauso besitzt wie die von Proteus, einem Meergott.

Oder der „Endemit“, eine Klassifizierung aus der Biologie, die Pflanzen und Tiere benennt, die nur in räumlich klar abgegrenzten Umgebungen vorkommen. Zwenias Endemit ist ein menschliches Gesicht, zerschnitten und wieder zusammengesetzt – hier erkennt man die Grafikerin! –vielleicht ja kündend von der Einmaligkeit eines jeden Menschen. Mit all seinen Verletzungen, Erfahrungen, seinem Leben. Denn wer hätte nicht schon einmal vor einem Scherbenhaufen gestanden, sich mühsam daraus wieder erhoben und neu sortiert?

Mein Favorit ist „Poseidon“. Ein auf ähnliche Weise malträtierter Fisch, vierfach zerhackt von scharfen Glassplittern. Leben in diesem Zustand widerspräche allen Regeln und trotzdem ist es ein Bild in warmen, optimistischen Farben. Und obendrein ein Kafka-Sujet: Das hilflose Individuum!

Innere Widersprüchlichkeit ist, wie Dialektiker wissen, eine Voraussetzung aller künstlerischen Qualität. An Widersprüchen ist diese Gegenwart überreich. Kunst hat das zu tun, was die Welt verweigert – das ist ihr Quelle.

Die drei Berliner Gäste ermalen sich eine Balance am Rande aller Katastrophen. Ihre Werke sind Augenblicke, Zwischenrufe, Stillleben. Vielleicht auch Angstprodukt, Hilferuf,
Rettungsrequisit? Der italienische Maler Mario Comensoli (1922 bis 1993) forderte von seinen Kollegen Teilnahme am Leben und Moral und dass sie an die Grenzen „des Riskanten und Absurden gehen, um das Leben zu verstehen.“ Wenn von Verstehen überhaupt die Rede sein kann!

Aber Déry, Gröne und Zwenia unternehmen mit jedem Bild einen neuen Versuch dazu, ganz ohne die blauen Augen des allzu Selbstgewissen. Das macht die Ausstellung sehenswert.
Weil ein Bild nicht etwas ist, das beißt oder kompliziert ist, wie der Vernissageredner, der Kurator der Galerie „Artgeschoss“, Dmitrij Schurbin, in seiner eloquenten wie launigen Rede
über seine Künstlerfreunde anmerkte. „Man findet etwas für sich selbst und erlebt etwas“, versicherte er. Davor hatte er Zwenia – was übrigens in einigen slawischen Sprachen Blume/Blüte bedeutet und die Künstlerin erschien auch so geschmückt zur Vernissage – eine „wunderschöne Frau“ genannt, die gigantische Bilder male, die ihm „kristallisierte Welten“ sind. Zu Oliver Grönes Bäumen denke er sich Musik (leider sagte er nicht, welche), denn der Maler spiele auch Gitarre. „Jedes Bild hat einen Klang“, lockte er die Zuhörer zur
Entdeckung. Und bei Konstantin Déry fiel dem Redner ein, dass er „ein Impressionist der modernen Zeit“ sei. Dass seine Landschaften „leben wie ein Wald“.

Schurbin wird übrigens der nächste ausstellende Künstler sein. Man darf gespannt sein, was einer auf Leinwände bringt, der so bildhaft zu reden vermag.

von Barbara Kaiser
8. Mai 2016