Matthias Brock

"Élan vital"

Malerei

13.02.2016 - 13.03.2016

Eröffnung: um Uhr
Galerie im Theater an der Ilmenau
Greyerstraße 3, 29525 Uelzen

Öffnungszeiten

Samstag 15 – 18 Uhr Sonntag 11 – 13 Uhr und 15 - 18 Uhr; Besuch von Gruppen nach Absprache mit der 2. Vorsitzenden des KVU Renate Schmidt, Tel. 0581-76675 oder 0170-332 50 29
Matthias Brock_Amor u Psyche Öl auf Nessel 2014

Ein Hohelied aufs Leben
„Élan vital“ – Matthias Brock stellt im Kunstverein Uelzen aus

Nehmen Sie sich unbedingt Zeit für den zweiten und dritten Blick, liebe Besucher der gegenwärtigen Ausstellung im Theaterkeller Uelzen! Im Kunstverein zu Gast ist für die
Jahresauftaktausstellung Matthias Brock, der unter dem Titel „Élan vital“ insgesamt 21 Arbeiten zeigt; meist – am Sujet gemessen – überdimensionierte.

Bei deren Anblick und vor allem in der Wahrnehmung der Titel, ergänzt durch den Internetauftritt des Künstlers, stürzen wahre Déjà-vue-Fluten auf einen ein: „Die Farbe Blau“ hieß einmal eine Ausstellung des Kölner Malers – hatte nicht der hiesige BBK zu diesem Thema gearbeitet vor ein paar Jahren? „Bestarium“ nannte Brock eine andere Schau – Wil Frenken schuf mit Blick auf die Ebstorfer Weltkarte im Arboretum vor geraumer Zeit eben solche. Und die „Äpfel und Birnen“ bei Matthias Brock – der im Jahr 2008 gestorbene Werner Steinbrecher überraschte mit namensgleichen Blättern, die ein großer Spaß waren und auch an Schillers vergammelte Früchte in der Schreibtischschublade erinnerten, sein Publikum.

Zu „Élan vital“ fügen sich Titel, die ein farbiges Hohelied aufs Leben sind. Aufs pralle, sinnenfrohe, gierige. Aber Obacht: Matthias Brock stellt in seiner Malerei auch Fallen.

Geboren im Jahr 1962 in Bielefeld, studierte er an der Kunstakademie Münster. Brock beschickt Ausstellungen, seit er im Jahr 1988 Meisterschüler war, in schöner Regelmäßigkeit.
„Kunst beginnt immer wieder von vorn“, bekennt der 53-Jährige in seinem kurzen Videoporträt im Internet. „Auf der Basis der Fortsetzung malerischer Tradition“, die für ihn immer ganz wichtig gewesen sei, lautet die Ergänzung. Und: „Kunst braucht den, der sie ausführt, aber auch den, der sie zu würdigen weiß.“ Und so richten sich die Bilder von Matthias Brock an einen Betrachter, „der das Gegengewicht dazu darstellt, was der KunstDada an Thesen aufstellt.“ Weil „Dada“ gerade 100 Jahre alt wurde, sei dieser Einwurf erlaubt: In Zeiten allgemeiner Kriegspropaganda 1916 wollten Hugo Ball, Hans Arp und die anderen die Sprache an sich fallenlassen, weil an ihr Schmutz klebe wie an den Münzen, durch Maklerhände abgegriffen.

Was für die Literatur galt, gilt für die Malerei sowieso: Sie kommt immer ohne die artikulierte Sprache aus. Was stellt Matthias Brock für „Kunst-Dada“ auf? Folgt man dem Titel der
Kunstvereinsausstellung, so erzählt der Künstler vom allgemeinen Lebensschwung, von lebendiger Begeisterung. Nach Henri Bergson, dem Philosophen, ist „Élan vital“ seit 1907 der feste Begriff für die schöpferische Entwicklungstendenz, die den biologischen Lebensprozessen innewohnt, den Willen zur Differenzierung beinhaltend. Darwin nannte es Evolution. Wir erleben das Ganze als Formen- und Farbenvielfalt in Flora und Fauna in der Natur.

Folgerichtig fehlt auf Brocks Bildern der Mensch. Es gibt ihn, keine Frage! Denn woher kämen sonst Messer, Teller, Tischdecke? Aber er bleibt uns erspart – es wären sonst andere Bilder. Gerade in diesen Zeiten. Trotzdem lösen die Arbeiten Entdeckerfreude, ja, auch Beunruhigung aus. Und einen Schub an gedanklichen Verknüpfungen, die Spaß machen.

Beispiel: „Amor und Psyche“, ein Schmetterling auf einem Achtel Zuckermelone, die das Cover der Einladung zieren. Wir kennen die Geschichte des Götterjünglings und der Königstochter, die ausnahmsweise einmal gut ausgeht. Aber bei Brock besteht das Paar nicht aus putzigen Putten, marmornen, gliederschlanken Liebenden, beflügeltem Knaben in heftiger Umarmung. Schmetterling und Melonenstück. Im Griechischen bedeutet das Wort „Psyche“ gleichzeitig „Seele“ und „Schmetterling“ – welch schöne Herleitung durch den Maler!

Die Werke von Brock vereinen Simplizität und Stilbewusstsein. Vielleicht setzen sie bewusst der permanenten Reizüberflutung der Gegenwart knallig bunt einfache Gegenstände vors Auge. Die jedoch die Absurditäten der Existenz einzuschließen vermögen.

Beispiel: „La caccia“ heißt das Bild, auf dem eine Katze sich heranpirscht an drei Fische. Ja, was glaubt sie denn? Dass der Fang ihre Beute allein bleiben wird? Der Papagei, der genüsslich Erdbeeren zerpflückt, heißt bei Brock „Don Juan“. Dieser Titel implizierte Epen. Die Aprikosen und Feigen mit einem triumphierenden Gecko, eine Grille im Maul, bekam den Titel „Lacona“. So ist auch ein Strand auf Elba benannt – Napoleons Verbannungsort. Oder: Für die Wespe und Eidechse sind die süßen Pflaumen „Patio“ – im Spanischen das Zentrum des Stadthauses, davor Tempelopfergabenstätte. Der saftige Granatapfel heißt „Granada“. Dabei stammt der gar nicht aus der Hauptstadt Andalusiens, sondern aus dem Nahen Osten. Das gleichnamige Tenor-Glanz-Lied jedoch besingt die Schönheit der Gegend und vor allem der Frauen. Und das Gefühl beim Essen der kleinen saftigen Perlen dieser Frucht ist Sonne, Lebenslust und Erotik gleichermaßen, wie es die Noten zu vermitteln versuchen.

Die Bilder von Matthias Brock schimmern vor delikater Schönheit. Sie sind eine lichtvolle Huldigung der Natur in eindrucksvoll farblicher Instrumentierung. Seit Johannes Grützke im Jahr 1973 die „Schule der neuen Prächtigkeit“ ausrief – zu einer Zeit, als die Konzeptionskunst im Westen der Republik das Ende der Malerei zu besiegeln schien – hat
man immer einmal wieder solche Bilder gehabt. Von Liebe sprechend, heiter und dramatisch, in einem expressiven Realismus. Geschmackssache? Klar! Auch nicht, um noch einmal an den 100. Geburtstag des Dada zu erinnern, nach dessen Devise, die sich die Protagonisten anlässlich der großen internationalen Ausstellung 1920 in Berlin auf die Plakate schrieben: „Sperren Sie endlich Ihren Kopf auf!
Machen Sie ihn frei für die Forderungen der Zeit!“ Die Forderungen der Zeit verlangten Anderes. Aber solch kleinen Kontrapunkt zum alltäglichen Unglück vor der Tür – der muss
einfach ab und zu gestattet sein.

Barbara Kaiser
12. Februar 2016

Werke

Bilder der Eröffnung​